Begleittext
Hommage an die Kunst und die Kunstschaffenden
Neben dem malerischen Werk beschäftigt sich Rémy Trevisan kontinuierlich mit Zeichnungen. Die Arbeit mit japanischer Tusche, mit Blei- und Buntstiften im kleinen Format dient ihm seit gut drei Jahrzehnten als eine Art experimentelles Labor für die Erprobung neuer Bildideen. Dabei ist es ihm, vergleichbar mit seinen Gemälden, gelungen, einen eigenen Trevisan-Stil zu entwickeln. Dieser ist vor allem bestimmt durch die kompositorische Dominanz der Linie, mir der zumeist Objekte der Wirklichkeit vereinfacht wiedergegeben werden. Durch Überlagerungen der Formen und Linien entsteht beim Zeichnen eine offene grafische Textur, in der sich Bildgegenstände überlagern, sodass eine Art transparenter Raum entsteht. Mit farbig akzentuierten Flächen wird der realistisch-symbolische Eindruck dieser Blätter zu einer abstrakten Bildsprache erweitert. Seit etwa 2016 finden sich auch hier immer wieder Motive menschlicher Körper und Kopfdarstellungen im Sinne individuell interpretierter Porträts.
Während der Corona-Pandemie in den Jahren 2020 bis 2022 waren die meisten Kunstinstitutionen geschlossen und vielen Kunstschaffenden fehlte der Kontakt zur Öffentlichkeit. In dieser Zeit hat Trevisan sein Initiativprojekt „Kunst wieder präsent machen. Porträts von Künstler*innen“ durchgeführt. Entstanden ist zunächst im Medium der Zeichnung eine Vielzahl von Porträts von Kunstschaffenden der Moderne und der Postmoderne, die in der Tradition des Ehren- und Gedenkbildes, der Hommage, stehen. Darunter befinden sich bspw. Bildnisse von Paul Klee, HAP Grieshaber, Rebecca Horn, Joseph Beuys und Anselm Kiefer. Trevisan schreibt selbst zu diesem Projekt: „Diese Porträts sollten zum Nachdenken über die unauflösbare Einheit von materieller und immaterieller Schöpfung im künstlerischen Schaffen anregen. Vor dem Hintergrund, dass durch die Pandemie fast die gesamte bildende Kunst aus der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit verschwunden ist, versuche ich Anstöße für philosophische und spirituelle Lebensfragen zu geben, denn das künstlerische Schaffen gehört zu wichtigsten Kraft-Quelle unserer Gesellschaft. Ich werde die Vielfalt menschlicher Schöpfer erfassen, darunter Frauen genauso wie Männer, die Heterogenität sexueller Orientierungen und verschiedener Minderheiten. Viele Künstler*innen verkörpern Hoffnung und Stärke in einer ‚dunklen Zeit‘. Die Serie will darauf aufmerksam machen, dass es ohne Künstler*innen keine Kunst und damit einen großen Teil unserer alltäglichen Lebenskultur nicht geben würde. Die Gesellschaft ist allen Kreativschaffenden zum Dank verpflichtet, für die ästhetischen Lebensimpulse, die von ihrer Arbeit ausgehen.“
Seit 2023 entwickelt Rémy Trevisan diese Hommagen auch in der Malerei weiter. Die Figuren der einzelnen Kunstschaffenden werden dabei in das mehrdimensionale Geflecht seiner abstrakten Bildwelten eingebunden. So wirken die Künstlerinnen und Künstler wie Louise Bourgeois, Jean-Michel Basquiat oder Edgar Allan Poe in eine rein ästhetische Sphäre entrückt. Erhoben in den überzeitlichen Raum der Malerei können die Porträtierten zum Nachdenken über die soziale und kulturelle Bedeutung von Kunstschaffenden anregen. Sie repräsentieren nicht nur den Genius der Kreativität, sondern auch eine besondere ethische Daseinshaltung, die man mit Begriffen wie Demut, Staunen, Offenheit, Toleranz und Respekt allem Leben gegenüber bezeichnen kann. Diese einzigartigen Bildnisse, die in ihrer Mischung aus realistischen und abstrakten Elementen einen eigenen Platz in der Geschichte der Porträtmalerei behaupten, wirken wie eine Essenz des fast vier Jahrzehnte umfassenden Schaffens von Rémy Trevisan. Eingebunden in die verschlungenen und dynamischen Räume seiner abstrakten Bildwelt, verweisen die dargestellten Kunstschaffenden der Serie „Hommage“ auf den Typus des kreativen Menschen als Repräsentanten des universellen Prinzips des Schöpferischen, das sich sowohl in der Vielgestaltigkeit der Natur als auch in der souveränen Gestaltungsfähigkeit der Menschheit entfaltet. Die Porträts sind also nicht nur als Denkmale im Bildnisformat zu verstehen, sondern viel weiterreichend als Vermittlung einer lebendigen ästhetischen Erfahrung in Gestalt virtuoser Malerei.
Joachim Penzel