Révélations Bleues

Rede zur Ausstellung „Révélations Bleues“ am 15.06.2019

Révélations Bleues: Auf Deutsch kann das verschieden übersetzt werden, so etwa als „blaue Enthüllungen“, „blaue Entdeckungen“, aber auch als „Offenbarungen in Blau“, von weiteren Varianten noch abgesehen. Im dritten Teil meiner Rede werde ich näher darauf eingehen. Hier nur so viel: Diese Ausstellung bietet nur Malerei und Zeichnung des Künstlers, deren farbliches Hauptgewicht auf die mannigfaltigen Tönungen der Kardinalfarbe Blau liegt.

I.

Rémy Trevisan kommt aus der Farbenmalerei, vor allem in seiner Frühzeit malte er buchstäblich „bunte“ Bilder; auch wenn in diesen Werken die durchdachte Komposition dominierte, kein wildes Durcheinander von Farben herrschte, nenne ich sie bunt, denn so würden sie jedem oberflächigen Betrachter erscheinen – vor allem dann, wenn er sie mit den rezenten Werken etwa dieser Ausstellung vergliche. Aus diesen Anfängen heraus hat sich der Künstler zu einer werk- und werkserienspezifischen Reduzierung seiner Palette entwickelt, sodass man Phasen mit dominierendem Gelb, Rot oder eben Blau unterscheiden kann. Das verbindet ihn unter anderem mit der klassischen Moderne in ihrer theoretischen Ausformulierung einer Farbenlehre der „drei Grundfarben“ Rot, Gelb und Blau. Aber seine Palette ist wesentlich breiter, Grün, Ocker, unbuntes Schwarz und Weiß mag auftreten, ebenso viele andere Spektralfarben. Aber er hat die Phasen, in denen insbesondere eine der Grundfarben dominiert.

Die resultierenden Werke erscheinen – wieder auf den ersten Blick – sehr abstrakt. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man jedoch gegenständliche und figürliche Bestandteile im Bildaufbau. Das ist etwas Besonderes, denn das ist kein Aspekt der klassischen Moderne, der hier zitiert wird. Dieser Aspekt der Bildkomposition wurde erst in der Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt, und in dieser „Tradition“ verortet sich Rémy Trevisan – eben als moderner zeitgenössischer Künstler, und mit zeitgenössisch bezeichnet man heute die Kunstrichtungen seit den 1950er Jahren. Nicht die unmittelbare Nachkriegskunst! Und an dieser Stelle möchte ich auf eine der wesentlichen künstlerischen Triebkräfte unseres Künstlers eingehen, die ihm aus der Problematik der unmittelbaren Nachkriegskunst heraus erwachsen ist.

Ein zentrales Motiv seines Denkens und (künstlerischen) Handels ist der Frieden! Das hat wiederum zwei Aspekte – hier soll es zunächst, und wohl auch Ihren Erwartungen entsprechend, um den Frieden zwischen den Menschen gehen.

Seit über 70 Jahren haben wir Frieden in Europa, wenigstens in Kerneuropa, das hatte es noch nie gegeben, und die EU ist genau deshalb mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Es waren gerade die Kernländer Europas, die sich nach dem 2. Weltkrieg zum ersten Mal in Jahrhunderten an den runden Tisch setzten und über mehrere aufeinander aufbauende Etappen sich zur EU zusammenfanden, zu einer eirenischen und ökonomischen Erfolgsgemeinschaft ohne historischen Vergleich. Die Notwendigkeit dafür hatte man allgemein im dem kurz vorher mit großen Opfern errungenen Sieg über den größten Zivilisationsbruch der Geschichte erkannt. DAS sollte nie wieder geschehen, und SO ETWAS sollte nie wieder von Europa ausgehen dürfen!

Aber die Naziherrschaft mit ihrem Weltkrieg, dem Holokaust und insgesamt 55 Millionen Toten weltweit, ideologisch unterfüttert auch mit einer grauenhaften Kunstideologie, hat in der Kunst selbst eine überaus starke Reaktion hervorgerufen: Sehr ernst zu nehmende radikale Künstlerinnen und Künstler beschlossen, keine Kunst mehr zu erschaffen oder auch nur zu dulden, die an einen Stil oder eine Bewegung erinnerte, die der Nazi- Kunstideologie diente oder wenigstens nicht als deren Feind gegolten hatte, nicht als „entartet“ diffamiert war. Die Radikalsten wandten sich der totalen Abstraktion zu, verwarfen jeden Ansatz von Formalismus und gründeten, von Frankreich und dort speziell von einer neuen „Ecole de Paris“ ausgehend, das Informel, mit ersten Ablegern in Strasbourg und Colmar, dann schnell in ganz Europa. Die Kunst wollte nur noch künstlerisch umgesetzte geistige Energie zeigen, nicht mehr irgendwelche Realitäten spiegeln oder interpretieren.

Diese Bewegung blieb nicht lange homogen. Aus ihr selbst heraus erinnerten sich einige gerade der von den Nazis als entartet diffamierte künstlerischen Richtungen wie den Expressionismus, den Kubismus, das Bauhaus und die Neue Sachlichkeit und andere mehr. Deren Tradition sollte doch uneingeschränkt weitergeführt werden können, ihre Auffassung von Figuration und Gegenständlichkeit, ebenso wie ihre farbliche Neuinterpretation der Figur-Grund-Beziehung fruchtbar weiterentwickelt werden sollen. Großer Streit entstand, bis man sich in den 1950er Jahren gegenseitig nicht mehr nur duldete, sondern kooperativ beide „konkurrierenden“ Entwicklungsstränge weiterverfolgte. Übrigens stellte das Konzept der Kasseler „documenta“, beginnend mit der ersten im Jahre 1959, diesen Wiederannäherungsprozess präzise dar.

Die Verbindung abstrakter und figurativ-gegenständlicher Elemente in der Malerei bei Rémy Trevisan veranschaulicht die historische Tragweite dieser Entwicklung zur europäischen zeitgenössischen Kunst. Diese Kunst repräsentiert ein Ideal von Freiheit, Freiheit der Kunst an sich, Freiheit zur je eigenen künstlerischen Entfaltung, und dies alles gesichert durch einen allgemeinen Frieden, der diese Freiheit garantiert und schützt. Dafür steht der Künstler Rémy Trevisan.

II.

Aber es gibt natürlich mindestens einen weiteren Aspekte von Frieden, auf den man gar nicht unbedingt so schnell kommt, der jedoch für Rémy Trevisan eine der wichtigsten Inspirationsquellen für seine Kunst insgesamt, insbesondere jedoch für seine Zeichnung darstellt. Hört man zur Zeit jedoch etwas genauer in die Welt und hier in unsere nähere Umgebung hinein, so kommt man vielleicht doch darauf: Es ist hier die Rede vom Frieden mit der Natur, der so bald als möglich geschlossen werden sollte: denn wir befinden uns in einem mörderischen Krieg mit unserer natürlichen Umwelt – und diesen Krieg können wir nicht gewinnen. Mit „wir“ ist übrigens die gesamte Menschheit gemeint, obwohl nur der kleinere Teil der Weltbevölkerung für diesen Krieg verantwortlich ist. Wie antiquiert unser Denken in Bezug auf die natürlichen Ressourcen ist, zeigt sich daran, wie aktuelle PolitikerInnen auf das uneingeschränkt löbliche Engagement unserer Jugend in der Bewegung „Fridays for Future“ reagieren – entweder aus Dummheit qua Uninformiertheit oder aufgrund ihrer internalisierten Arroganz der Macht, die sie zu besitzen meinen. Strategien und Taktiken der PolitikerInnen weltweit geht in erster Linie in Richtung Erhalt der Macht statt Erhaltung der Erde. Aber jetzt zeigt sich doch durchaus machtvoll durch unsere Jugend, dass der alte und schon in den 1980er Jahren vielbelächelte Wahlspruch der Grünen, „Wir haben diese Erde nur von unseren Kindern geborgt“ eine Wahrheit wiederholte, die bereits in dem alten Buch „Silent Spring / Der stumme Frühling“ von Rachel Carson insinuiert wurde und durch den „Bericht des Club of Rome“ von 1960 wissenschaftlich nur in wenigen Aspekten kritisierbar laut ausgesprochen wurde: Die Menschheit treibt Schindluder mit der Natur! Es folgten 59 Jahre des umweltpolitischen Nichtstuns und Vertuschens, des Betrugs an den Wählern und der Diffamierung der Umweltschützer. Passiert jetzt vielleicht mal etwas? Mit Rémy Trevisan jedenfalls kann man beim Kampf gegen die politische Ignoranz rechnen!

Wie schön die – wenn auch kulturell komplett überformte – Natur ist, zeigen uns die Zeichnungen des Künstlers. Die meisten zeigen bewusst und gewollt organische oder wenigstens organoide Formen – die die meisten Menschen so noch nie gesehen haben. Man muss sich schon, wie Rémy selbst, sehr intensiv um seinen großen und dicht mit Pflanzen besiedelten Garten kümmern und ihn ebenso intensiv pflegen, um dahinter zu blicken, was man in den Zeichnungen sieht. Verwelkte Blätter und Stängel, die im Welkprozess verformt wurden, aufgeplatzte und vertrocknete Fruchthüllen, alles ist ihm Inspirationsquelle. Und natürlich zeichnet er nicht „nach der Natur“, dass würde ja seinem künstlerischen Ansatz, wie oben erläutert, glatt widersprechen. Nein, er schafft für einige gegenständliche Eigenheiten der organoiden Formen naturähnliche Umwelten, er fügt verschiedene Naturgegenstände zusammen, wie es oft nur auf dem Komposthaufen geschieht, und bietet das dem Betrachter an. Es sind auf diese Weise Hinweise auf das, was die Natur ist – natura eben, das Gewachsene. Natura naturans – die Natur wächst; und sie schafft – aus menschlicher Sicht – Verschwendung! Aber die Natur ist sich auch selbst genug: die Natur braucht, wie all die anderen bereits ausgestorbenen Arten, den Menschen nicht, obwohl er ja ursprünglich auch ein Naturprodukt ist. Aber der Mensch braucht dringend die Natur mit ihren Ressourcen, die sie dem Menschen bietet. Der Mensch, die Menschheit ist verloren, wenn sie nicht sehr bald ihren Frieden mit der Natur schließt – auch für diesen Frieden kämpft Rémy Trevisan mit seiner Kunst!

III.

Im dritten und letzten Teil meiner Rede, ich hatte es eingangs bereits angekündigt, will ich nun auf die Art und Weise eingehen, mit der unser Künstler seine Werke erschafft. Ich beziehe mich nun ausschließlich auf die Malerei.

Der erste Schritt ist immer die Grundierung der Leinwand mit einem grauen Farbauftrag. Oft genug lugt dieses Grau immer noch sichtbar durch die folgenden Malschichten durch, sofern sie fast das gesamte Bild ausmachen. Ebenso oft, und in letzter Zeit häufiger, bleibt die Grundierung aber auch buchstäblich fundamentaler Bestandteil des Gemäldes. In vielen Beispielen aus dieser aktuellen Ausstellung findet in diesen „Grauzonen“ die figurative oder gegenständliche Form ihren Ort, die den entsprechenden Gehalt des Bildes ausmacht. Denn der große übrige Bildbereich ist der echten Farbe gewidmet, hier dem Blau mit gelegentlichen weiteren Farbtupfern. Aus diversen blauen Nuancierungen wird das Hauptmuster des Gemäldes komponiert, und es erinnert wirklich an ein Muster. Es handelt sich dabei um oft serielle, nur leicht differenzierte abstrakte Ornamente, die meistens durch schwarze Linien miteinander vernetzt sind. An sich bereits ergeben sie ein komplettes und meist stark bewegtes Bild, welches Energie ausstrahlt, auch Spannung, und welches das Auge des Betrachters in Bewegung hält. Letzteres liegt auch daran, das Rémy Trevisan seine Leinwände in der all-over-Technik bemalt, das heißt, er bemalt von der Grundierung bis zum Ende des Malvorgangs die gesamte Leinwand, von der wir dann nach dem Aufspannen auf den Spannrahmen nur einen, wenn auch sehr großen und bewusst gewählten Ausschnitt zu sehen bekommen. Trotzdem vermutet der Betrachter weitere Bildinhalte, nach denen er an den Rändern mehr oder weniger unbewusst sucht; finden kann er jedoch einzig die Fortführung der Muster, die seinen Blick zurück ins Bild des Rahmenausschnitts führen. Diese Bewegung ist unvermeidlich.

Die figurativen und/oder gegenständlichen Bildbereiche der Komposition können sich dann auf dreierlei Art „ergeben“, bzw. in das Bild hineinfinden. Die erste Art ist die der konkreten Aussparung eines Bildbereiches. In diesem Fall malt der Künstler um einen Bereich der Leinwand herum, in dem sozusagen ex negativo der konkrete Gegenstand oder die Figur erscheinen sollen; es können Tiere (ein Pferd), Menschen (Degas` „Tänzerinnen“, aber auch abstrakte androide Formen) oder Gegenstände wie eine Teekanne sein. Es ist nicht ganz einfach, so einen Leinwandbereich derart konkret auszusparen, denn sein Inhalt bleibt während des gesamten Prozesse auch für den Künstler imaginär.

Eine zweite Variante ist die „Vorzeichnung“. Damit ist hier nicht gemeint, dass es eine komplette Umrisszeichnung gibt, in die der Gegenstand oder die Figur dann hineingemalt wird. Es handelt sich vielmehr nur um wenige und kurze Konturlinien, die Figur oder Gegenstand dürftig andeuten und dem Künstler vor allem in kompliziert geplanten Kompositionen eine kleine Hilfestellung bieten. Im Bild „Bergsteiger“ oder in der historischen Reminiszenz an van Goghs Stuhl bedient sich Rémy dieser Technik.

Die dritte Variante ist allerdings wohl die, an die Sie, liebe Kunstfreunde, zu allererst gedacht haben werden: Nachdem eine abstrakt-ornamentale Komposition zum Abschluss des all-over-Prozesses gekommen ist, wird in einem weiteren Farbauftrag, der wiederum mehrere Farbschichten umfassen kann, die Figur oder der Gegenstand in die bestehende Komposition hinein, besser: darüber gemalt. Nur der Künstler allein weiß, warum er wann welche der Varianten anwendet. Das hat aber auf jeden Fall etwas damit zu tun, wie sich der Künstler auf den Prozess der Komposition eines konkreten Bildes vorbereitet, wie er sich in den dann entscheidenden künstlerischen Zustand versetzt, der die absolute Voraussetzung für den kreativen Prozess ist. „Der künstlerische Zustand ist das Entscheidende … Sobald man sich für etwas (ein konkretes Kunstwerk, das man erschaffen will) begeistert hat, ist es bereits so gut wie realisiert“, sagte Willi Baumeister einmal. Allerdings bleibt die eigentliche künstlerische Aufgabe dann noch zu erledigen: Das Werk dann auch wirklich zu erschaffen!

Text: Dr. Johann-Peter Regelmann